Es war ein heißer Sommertag an dem ich mich dazu entschloss auf Tuchfühlung mit einem reißenden Gebirgsfluss zu gehen. „Was soll schon schiefgehen“ dachte ich mir in Anbetracht der Vielzahl von Menschen, die sich durch die Strömung treiben ließen und den Naturkräften des Flusses hingaben. Also ließ ich es darauf ankommen und startete mein Unterfangen rund 400 Meter von einer Fußgängerbrücke und 800 Meter von einem angrenzenden Freibad entfernt. Mein Plan war es die befestigte Anlage am Schwimmbad zu erreichen, ehe es so schnell keinen bequemen und besseren Ausgang mehr geben würde.
Also stand ich nun da, tauchte meine Zehen in das kühle Nass und überwand mich die ersten Schritte in Richtung Flussbett zu gehen. Der Boden war steinig, das Wasser lange Zeit nur Knie hoch, aber trotzdem so stark strömend, dass ich das Gleichgewicht verlor und rücklinks mit den Füßen voran im Wasser lag. Ich räume ein: in diesem Moment hatte ich Panik. Das Wasser floss viel stärker als gedacht. Ich wollte weg, doch konnte nicht. Der Versuch aufzustehen wäre zum Scheitern verurteilt gewesen oder hätte zur Folge gehabt, dass ich mir mehr als nur den Hintern an den Steinen aufreibe.
Die Panik wurde mehr. Ich rang mit mir. Wusste nicht wohin und noch schlimmer: ich sah einen Brückenpfeiler mit hoher Geschwindigkeit auf mich zukommen. Also nahm ich meinen Mut zusammen, stieß mich – weiterhin rücklinks – in Richtung Flussmitte ab, schaffte es irgendwie in eine Schwimmposition zu kommen und verfehlte den Brückenpfeiler denkbar knapp. Den Blicken einer Schwimmerin in der Nähe war anzusehen, dass ich der Kollision nur um wenige Zentimeter entging.
Der Rest des „Badespaßes“ spielte sich wie in Trance ab; denkbar erschöpft brachte ich die letzten Kräfte zusammen, um das rettende Ufer der Freibadanlage zu erreichen. Um ein Haar hätte ich hier das Gelände verfehlt und somit keine Gelegenheit gehabt mich festzuhalten. Ob ich im Falle des Scheiterns dann noch die Energie gefunden hätte das Flussufer zu erreichen, oder ich erschöpft und hilflos in die Filteranlage der nächsten größeren Stadt getrieben wäre, sei mal dahin gestellt.
Seit diesem Vorfall hat sich meine Einstellung zum Leben verändert. Mehr noch: seit diesem Vorfall kommen mir viele Dinge unwirklich vor. So, als würde sie gar nicht wirklich passieren.
Gibt es mich überhaupt noch? Habe ich an diesem Tag den Brückenpfeiler womöglich gar nicht verfehlt? Wie kann ich sicher sein, dass ich ich bin und das was ich erlebe die Realität, sprich „das Leben“ ist. Was ist das überhaupt, das Leben? Letztlich kann mir keiner glaubhaft versichern, dass ich am Leben bin. Schließlich könnte mir mein Bewusstsein auch einen Streich spielen oder mir seit diesem Vorfall eine Antwort geben auf die Frage „was passiert nachdem man gestorben ist“.
Häufig genug schüttel ich die Gedanken des letzten Absatzes von mir ab. Letztlich spiele ich das Spiel, das mir mein Hirn als „das Leben“ verkauft weiterhin mit, verfalle nicht Gedankenmuster des Nihilismus oder des Solipsismus und werfe auch bestimmt nicht alles was mir wichtig ist über Bord.
Doch ein kleiner Funken Zweifel bleibt und mag doch gestattet sein, oder? Stirbt ja keiner dran.